Geschichte des Österreichischen Volkshochschularchivs

Gründungsversammlung des „Vereins zur Geschichte der Volkshochschulen“
Gründungsversammlung des „Vereins zur Geschichte der Volkshochschulen“ am 4. Dezember 1987 im Unterrichtsministerium. V.l.n.r.: Hofrat Dr. Karl Foltinek, LAbg. Ernst Steinbach, Sektionschef Dr. Hans Altenhuber, Prof. Dr. Wolfgang Speiser, Prof. Karl Hochwarter, Prof. Regina Stadler, Prof. Dr. Erwin Reitter

Gründung des Vereins zur Geschichte der Volkshochschulen

Vor dem Hintergrund jährlicher Zusammenkünfte wichtiger deutscher, österreichischer und schweizerischer Volkshochschulvertreter/innen, die seit 1981 stattfanden und bei denen insbesondere Fragen der geschichtlichen Entwicklung der Volkshochschulen nach 1945 thematisiert wurden, kam es schließlich zu einer entscheidenden Weichenstellung für die österreichischen Volkshochschulen und somit auch für die österreichische Erwachsenenbildung. Im Zusammenhang mit dem 100-Jahr-Jubiläum der Wiener Volkshochschulen und einer Ausstellung im Wiener Rathaus, für die nach intensiven Recherchen – unter anderem vom damaligen Direktor der „Volkshochschule Wien-Nord“, Karl Hochwarter – zahlreiche historische Dokumente, Fotografien, Plakate und Realien zusammengetragen wurden, fiel die wichtige Entscheidung, dieses Material zum Kern einer eigenständigen Sammlung zu machen, um die sich künftig ein eigener Verein kümmern sollte. Dem erkenntnisleitenden Motto „Zukunft braucht Erinnerung“ folgend wurde im Dezember 1987 schließlich der „Verein zur Geschichte der Volkshochschulen“ ins Leben gerufen. An dessen Gründung und Finanzierung waren an vorderster Stelle der langjährige Zentralsekretär des Verbandes Wiener Volksbildung, Prof. Dr. Wolfgang Speiser, Prof. Karl Hochwarter, Hofrat Dr. Karl Foltinek als Leiter der Wiener Magistratsabteilung 7, Landtagsabgeordneter Ernst Steinbach als damaliger Vorsitzender der Verbandes Wiener Volksbildung und Sektionschef Dr. Hans Altenhuber vom Unterrichtsministerium beteiligt. Aufgabe und Zielsetzung des neugeschaffenen Vereines war die Sammlung, Aufbewahrung und Auswertung von historischem Quellenmaterial, somit: der Aufbau eines österreichischen Volkshochschularchivs.

Im Wissen um die Gefahren und Risiken eines unwiederbringlichen Materialverlustes an zum Teil weit auseinander liegenden Standorten und des mitunter nur wenig ausgeprägten Geschichtsbewusstseins einzelner Akteure wurde, ungeachtet der zunächst äußerst bescheidenen finanziellen Mittel und der geringen räumlichen Ressourcen, mit viel Engagement und geradezu visionärem Blick die zentrale Sammlung und Archivierung in Angriff genommen. Neben der Sicherung des laufend produzierten Schriftgutes einzelner Volkshochschulen, ihrer Verbände sowie anderer Erwachsenenbildungseinrichtungen wurde dabei auf die – leider nur teilweise überlieferten – historischen Altbestände aus der Gründerzeit besonderes Augenmerk gelegt. Mit dem zur gleichen Zeit ins Leben gerufenen Mitteilungsblatt des Vereines, aus dem bald die Zeitschrift Spurensuche hervorgehen sollte, wurde, neben Artikelserien im Verbandsorgan „Die Österreichische Volkshochschule“, zudem ein wichtiger Anstoß für eine stärkere historiografische Auseinandersetzung mit der Geschichte der Volksbildung und ihren Quellen gegeben.

Ein wesentlicher Effekt der auf vereinsrechtlicher Basis erfolgten Gründung des Österreichischen Volkshochschularchivs, das vom Unterrichtsministerium finanziell gefördert, durch eine Kooperationsvereinbarung mit dem damaligen Verband Wiener Volksbildung hinsichtlich der räumlichen Ressourcen abgesichert und vom Verband Österreichischer Volkshochschulen (VÖV) organisatorisch und personell unterstützt wurde, bestand darin, dass mit der konsistenten Arbeit des Archivs allmählich ein Wandel in der Erinnerungskultur der Volkshochschulen eintrat. Der selektive Umgang mit der eigenen Vergangenheit – geradezu ein Spiegelbild der lange dominierenden Verdrängungskultur der Zweiten Republik –, der auch eine kritische Auseinandersetzung mit der Erwachsenenbildung in den Jahren 1933-1945 verzögert hat, begann sich allmählich  in Richtung einer kritischen Analyse auf Basis solider Quellengrundlagen und theoretisch-methodisch avancierter Forschungsansätze zu verändern; ein Prozess, der nicht zuletzt durch eine stärkere zeithistorische Auseinandersetzung mit der Geschichte der Erwachsenenbildung nachhaltig in Gang gesetzt wurde.

Zunahme an Material und eigenständiger Forschung – Integration in die Wiener Volkshochschulen GmbH

Aufbauend auf dem pionierhaften Beginn der Archivtätigkeit und den ersten, großteils aus dem Privatbestand von Karl Hochwarter stammenden Volkshochschul-Programmen, Plakaten, Mitteilungen und Protokollen der Direktoriums-, Zentralvorstands- und verschiedenen Ausschusssitzungen, kamen in den folgenden Jahren viele weitere Laufmeter Archivalia aus privater Hand hinzu: von Volkshochschulen, Verbänden und Dachorganisationen – etwa dem Verband Wiener Volksbildung, dem Verband Österreichischer Volkshochschulen (VÖV) oder der Konferenz der Erwachsenenbildung Österreichs (KEBÖ) – sowie vereinzelt von anderen EB-Einrichtungen. Nicht zuletzt war es, neben dem unermüdlichen Einsatz von Karl Hochwarter sowie des gesamten Vereinsvorstandes, insbesondere dem diplomatischen Verhandlungsgeschick und der sachlichen Unbeirrbarkeit Hans Altenhubers als langjährigem Vorsitzenden des Vereins zur Geschichte der Volkshochschulen zu verdanken, dass die zahlreichen im Lauf der Jahre an das Archiv übergebenen Materialien in immer neu hinzukommenden Magazinräumen untergebracht werden konnten.

Eine entscheidende Verbesserung und Absicherung der personellen und räumlichen Ausstattung ergab sich 2008, als der Vereinsvorstand nach reiflicher Überlegung beschloss, der organisatorischen Eingliederung des Österreichischen Volkshochschularchivs als eigenständige Einheit in die neugeschaffene Wiener Volkshochschulen GmbH zuzustimmen, wobei das Archiv weiterhin vom Verband Österreichischer Volkshochschulen (VÖV) maßgeblich mitfinanziert wird.

Nach langen Jahren der Aufbautätigkeit unter zum Teil schwierigen Bedingungen hat sich das Österreichische Volkshochschularchiv mit seinen Projekt- und Forschungsaktivitäten sowie der zunehmenden Präsenz archivalischer Dokumente in Ausstellungen und Filmproduktionen zu einer international anerkannten außeruniversitären Dokumentationseinrichtung entwickelt, die für die Realisierung einer Online-Historiografie sogar mit dem Innovationspreis des Deutschen Institutes für Erwachsenenbildung (DIE) in Bonn ausgezeichnet wurde.

Aufgaben, Ziele, Bestände und Aktivitäten

Das heutige Tätigkeitsspektrum des Österreichischen Volkshochschularchivs basiert auf einem klar definierten Leitbild, das auch den Prozess einer  Qualitätstestierung (LQW) auf Ebene der Wiener Volkshochschulen GmbH durchlaufen hat: Das Volkshochschularchiv fungiert demnach als historisches Gedächtnis der österreichischen Volkshochschulen und ihrer Dachorganisationen und ist in dieser Funktion zentraler Ort historisch-archivischer Informationsaufbereitung und Informationsbereitstellung sowohl für innerbetriebliche Anforderungen als auch für alle Anfragen von privater und öffentlicher Seite sowie für universitäre und außeruniversitäre Recherche- und Forschungsprojekte (z.B.: akademische Abschlussarbeiten).

An vorderster Stelle obliegt dem Österreichischen Volkshochschularchiv jedoch die Sammlung, fachgerechte Archivierung und Erschließung von volkshochschulspezifischen Text-, Bild-, audiovisuellen und digitalen Quellen von der Gründungszeit der Volkshochschulen und ihrer Vorläufereinrichtungen bis zur Gegenwart; eine Aufgabe, die das Archiv in seiner besonderen Funktion als Unternehmensarchiv der Wiener Volkshochschulen GmbH und des Verbandes Österreichischer Volkshochschulen (VÖV) nun auch durch die Entwicklung eines funktionalen Konzeptes für einen „Dokumentenabgabeplan“ im Sinne modernen „Records Managements“ wahrnimmt, um so ungewolltem Materialverlust zuvorzukommen.

Die dauerhafte Sicherung zum Teil unikaler historischer Materialien und die öffentliche Bereitstellung von historischer wie zeitgenössischer Primär- und Sekundärliteratur bilden die unverzichtbare Basis sowohl für die innerbetriebliche Selbstverständigung als auch für die wissenschaftliche Erforschung der Volks- und Erwachsenenbildung sowie der Wissenschaftspopularisierung in Österreich.

Im Österreichischen Volkshochschularchiv sind die Statuten, Protokolle, Korrespondenzen, Programme, Plakate und Bilder der Österreichischen und Wiener Volkshochschulen beziehungsweise der mit diesen in Verbindung stehenden Volksbildungseinrichtungen, aber auch Vor- und Nachlässe bedeutender Volks- und Erwachsenenbildner aufbewahrt. Dem Archiv, bestehend aus Vereins-, Verbands-, Programm-, Plakat- und Bildarchiv, sind eine umfangreiche Studienbibliothek sowie eine Zeitschriftensammlung angeschlossen.

Das Archiv, dessen Bestände mittlerweile den Umfang eines mittleren Stadtarchivs aufweisen, bewahrt unter anderem regelrechte Schätze: Neben Korrespondenzen, Akten, Plakaten, Fotomaterialien und Mitteilungen der Volkshochschulbewegung finden sich unter anderem Preziosen wie der Briefwechsel Albert Einsteins rund um seinen großen Volkshochschulvortrag im Wiener Konzerthaus 1921 oder der historische Glasdiapositivbestand der einstigen Skioptikonvorträge der Wiener Urania. Ohne diesen Bestand hätte die mittlerweile auf acht prächtige Farbbildbände angewachsene Reihe „Die Welt von gestern in Farbe“ im Christian Brandstätter-Verlag nie erscheinen können. Ähnliches gilt für ORF-Fernsehproduktionen wie etwa „Kinderjahre in der Monarchie“ von Robert Gokl, die durch die Verwendung von Objekten aus dem einzigartigen Bilderfundus der früheren Urania-„Lehrmittelsammlung“ besondere Faszinationskraft erhielten.

Auch Ausstellungen wie „Ganz unten. Die Entdeckung des Elends: Wien, Berlin, London, Paris, New York“, „Tropenzauber“ (beide im Wien Museum), „Armes Luxemburg“ im Historischen Stadtmuseum Luxemburg,  „Steiermark um 1900“ im Historischen Stadtmuseum Graz oder zuletzt „Urania reist nach Ägypten“ im Weltmuseum Wien konnten durch Leihgaben aus der Lichtbildersammlung bereichert werden. Insbesondere durch zahlreiche Ausstellungen und Filmdokumentationen gelang es in den letzten Jahren zunehmend, historische Forschungsergebnisse beziehungsweise Einblicke in die Geschichte der Erwachsenenbildung weit über die Weiterbildungslandschaft hinaus einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen.

Neben der öffentlichkeitswirksamen Mitarbeit an Ausstellungen, an Hörfunk- und Fernsehsendungen (zum Beispiel ORF, BBC), wendet sich das Österreichische Volkshochschularchiv mit Projekten und internationalen Symposien – zuletzt zum spannenden Thema „Bildung und Ökonomie“ in der Wiener Urania – sowie mit der Internetplattform „Knowledgebase Erwachsenenbildung“ an alle, die sich für Volks- beziehungsweise Erwachsenenbildungsgeschichte in ihrer gesamtgesellschaftlichen Relevanz interessieren.

Nicht zuletzt aufgrund des hochwertigen internen und externen Archivinformationssystems „Theseus“ und dank der Expertise der Mitarbeiter/innen ist es möglich, der steigenden Zahl an Benützungen und Rechercheanfragen aus dem In- und Ausland rasch und kompetent zu entsprechen und darüber hinaus auch länger währende Vorhaben wie etwa Diplomarbeiten, Dissertationen oder spezielle Forschungsprojekte mit weiterführenden Literaturhinweisen und durch Bereitstellung von Quellenmaterial zu unterstützen.

Die Durchführung von Forschungsprojekten und Auftragsrecherchen, die Veröffentlichung von fachspezifischen Monografien, Tagungsbänden, Festschriften, die Organisation von Seminaren, Tagungen und Konferenzen sowie die seit 20 Jahren erscheinende Fachzeitschrift Spurensuche. Zeitschrift für Geschichte der Erwachsenenbildung und Wissenschaftspopularisierung sind wichtige Beiträge zur vergangenen und aktuellen Entwicklung der Volkshochschulen.